Es ist doch vollkommen normal, seine Aufstellung an den Gegner anzupassen? Da geht es u.a. auch darum, seine Spieler zu schonen, die 30°-Spiele sind ja doch nicht ohne. Mit Experimenten hat das nichts zu tun, denn das Zentrum von Frankreich war nicht ohne Grund vollkommen wirkungslos.
1. Experimentiererei aka "spielen wir einfach mal mit 4 IV, was wir nie zuvor getan haben, merken dann dass das nicht so gut klappt gegen Ghana, ignorieren das und fallen gegen Algerien nur dank Neuer damit nicht auf die Schnauze" vielleicht? Defensive Eingespieltheit ist kaum vorhanden und das war auch schon 2012 der Fall, als damals völlig überraschend auf einmal Hummels in der IV spielte. Kritisiert wurde das auch damals schon. Der Glücksfall für Deutschland ist dann tatsächlich die individuelle Qualität und die Eingespieltheit der Bayernspieler untereinander. Die Anpassung war dann auch nicht an den Gegner sondern daran, dass es in den Spielen zuvor offensichtlich überhaupt nicht funktionierte. Die Abstimmungsprobleme wurden btw beim Einrücken von Höwedes mal wieder deutlich als Griezmann (?) auf rechts vollkommen frei stand, der Franzose in Ballbesitz das aber übersah. Spielt er da den Querpass steht Griezmann frei vor Neuer. Problem: Höwedes rückt ein, es ist aber kein Mittelfeldspieler (in der defensiven Zuordnung Özil oder derjenige, der seine Seite übernimmt bei einem Positionstausch) da, der die Lücke schliesst.
2. Welche Schonung? Die Spieler um die es hier geht haben jedes Spiel gemacht: Lahm der erst schlecht als DM und dann deutich besser als RV spielt, Höwedes der dauernd schlecht als LV spielt (gegen Frankreich immerhin mal verbessert).
Das Frankreichs Zentrum angesichts der erheblichen Ballung auf beiden Seiten wirkungslos war, wundert dann auch nicht. Platz war auf beiden Seiten kaum vorhanden, nur haben die Franzosen das dann auch noch schlecht gespielt. Sakho und Varane haben sich von Klose viel zu weit zurückdrängen lassen, dazu ist Cabaye mit der Position und der Aufgabe den Bal zu halten klar überfordert gewesen. Er ist im Grunde genauso wenig pressingresistent wie Schweinsteiger, die Deutschen haben den Nachteil aber überhaupt mal recht konsequent genutzt.
Das Frankreich überhaupt einen Fuß auf den Boden bekommen hat, lag an der individuellen Klasse derer Stürmer, die die vielen langen Bälle erstaunlich gut verarbeiten konnte. Trotzdem hat das eben zahm gewirkt und wie du auch gesagt hast, war es garnicht möglich, das Tempo weiter zu erhöhen. Die einzige Option für Frankreich wäre gewesen, wie Ghana in den offenen Schlagabtausch zu gehen. Das können sie eben nicht, ihr Pech.
und
In der zweiten Hälfte wurde auch sehr offensichtlich das Tempo rausgenommen und das Spiel verschleppt. Das konnte man sehr gut an Neuer erkennen, der alle Bälle lang festgehalten hat, anstatt Chancen einzuleiten.
Das es nicht möglich war das Tempo zu erhöhen lag halt an Frankreichs Unvermögen. Eine Mannschaft auf dem Niveau sollte dazu eigentlich in der Lage sein und zwar praktisch unabhängig davon was der Gegner spielt. Frankreich hatte am Ende gut 50% Ballbesitz, wirklichen Zug nach vorne gab es aber nie.
Die langen Bälle wurden übrigens auch nur dann gefährlich, wenn Deutschland ein hohes Pressing spielte (prinzipiell eine gute Idee), aber mal keinen Druck auf den Ball ausüben konnte. Dann wird es nämlich gefährlich, weil die schnellen französischen Spieler viel Platz zur Verfügung haben. In den Situationen fällt dann vorallem durch die Defensivverweigerung der Herren Müller und Özil (was, wie gesagt, vor allem bei ersterem zu 100% nationalmannschaftsspezifisch ist) auf, siehe die oben genannte Szene. Abseits davon kam aus dem französischen Mittelfeld auch eher wenig, aber die Gefährlichkeit der langen Pässe gegen unsere nicht immer passende Defensivabstimmung hat man ja schon gegen Algerien gesehen
Genau so hätte Benzema im Pressing nichts gebracht, was hätte er mit den gewonnenen Bällen auch machen sollen? Zurückspielen für den langen Pass?
Weil es beim Pressing ja auch darum geht möglichst häufig den Ball in der gegnerischen Hälfte zu gewinnen
Hier geht es in erster Linie darum den Gegner so unter Druck zu setzen, dass ein kontrolliertes Aufbauspiel verhindert wird. Exakt das hat Benzema aber nicht gemacht und unter anderem deswegen hat Schweinsteiger dann so viel Platz gehabt. Kroos und Khedira hatten die Franzosen halbwegs unter Kontrolle, Schweinsteiger konnte aber massig gefährliche Pässe spielen. Angesichts seiner sonst eher geringen Pressingresistenz (deutlich geringer als Lahm zB, einer der Gründe warum Pep ihn als ZM/DM haben will) eigentlich ein absoluter Witz, das wäre mit konsequentem Pressing seitens Benzemas nämlich weitgehend zu verhindern gewesen.
Lahm war hinten grandios und hat sich nur 1* ganz am Anfang überlaufen lassen, in der Offensive hat er aber auch keine Bäume ausgerissen. Er ist aber sehr viel weiter aufgerückt als Höwedes, wodurch die rechte Seite unsere bevorzugte Angriffsseite war. Darunter litt natürlich auch die sichtbare Performance von Özil, der hat von Höwedes weder Bälle noch Deckung bekommen. Natürlich erweckt das den Eindruck, dass das Spiel an ihm vorbeigelaufen ist - allerdings wurde es auch taktisch an ihm vorbei geplant. Das es nicht sein bestes Spiel war, finde ich da noch erwartungsgemäß.
Bälle und Deckung hat er von Höwedes auch in den ersten Spielen nicht bekommen, der ist offensiv nämlich (vor allem auf links) so limitiert wie ein Baumstamm. Wie das dann für eine taktische Planung an ihm vorbei sorgen soll, in dem die Offensivspieler sowieso nicht positionsgebunden sind (was man auch an seinen Offensivstats sieht, siehe
hier) ist dann doch fraglich.
Ansonsten natürlich auch noch:
statt wie Özil an der Außenlinie rumzugammeln.
Es gibt Spieler, die auch wenn sie in ihrer Wunschposition den Ball nicht bekommen, noch eine gute Leistung bringen, in dem sie sonstige Arbeit verrichten (Gegner unter Druck setzen etc), siehe zB Klose in diesem Spiel. Exakt das tut Özil aber nicht und richtet durch seine häufige Defensivverweigerung sogar noch erheblichen Schaden an (bei dieser WM auch schon häufig zu beobachten). Bei einem Spiel wie dem ist dann halt die Frage, warum ein Özil überhaupt spielen soll, wenn er offensiv nichts bringt. Da wäre eine Alternative, die offensiv genauso wenig bringt, aber zumindest Defensivarbeit verrichtet immer die bessere.
Der wirkliche Schwachpunkt in der Mannschaft war aber Khedira, deshalb würde ich gegen Brasilien Lahm wieder ins Mittelfeld setzen. Stattdessen Durm als LV, die 3 IV wie gegen Frankreich und entsprechend ein Spiel über die linke Seite - dann wird man auch sehen, was Özil drauf hat. Müller auf rechts würde auch weniger darunter leiden, wenn nicht über seine Seite gespielt würde, sondern könnte in die Mitte rücken und Abpraller verwerten, statt wie Özil an der Außenlinie rumzugammeln.
Der Khedira, der Matuidi und Cabaye so unter Druck setzte, dass das französische Mittelfeld überfordert war? Ich bin normalerweise einer der ersten Kritiker an Khediras zu offensivem Spiel, aber hier war es tatsächlich mal gut (aber dann bitte auch NUR gegen nicht pressingresistente Gegner und NUR wenn man im Spiel merkt, dass es funktioniert und ohne die weitgehend sinnlosen Vorstöße mit Ball seitens von Khedira). Und dafür will man dann wieder den Lahm dahin stellen, der auf der Position in 4 Spielen auch noch zwei seiner schlechtesten Nationalmannschaftsspiele abgeleifert hat? Dazu dann noch Durm rein, so dass die Defensive noch weniger eingespielt und abgestimmt ist? Mal davon abgesehen, dass Durm sowieso nicht spielen wird.
Insgesamt sehe ich da aber mehr als "unsere Taktik war Zufall und Frankreich hatte eben eine schlechte Tagesform".
Ersteres habe ich nicht behauptet, aber du wirst vllt auch noch den Unterschied zwischen "das war taktisch astrein" und "das war keine Taktik" kennen. Die Taktik war nicht so brilliant wie sie gemacht wird, man hat im Grunde nur die Fehler der Spiele zuvor (gegen Algerien selbst bei ner Fürhung ins Messer laufen durch die Positionierung der AV, ein Lahm der auf der Position nicht zurecht kam etc) nicht mehr gemacht. Gleichzeitig funktionierte die offensive Spielweise Khediras tatsächlich mal (die gegen pressingresistentere 6er meistens in die Hose geht). Frankreich hatte auch keine schlechte Tagesform, Frankreich hat nur mit Deschamps nen Trainer, der genauso wenig wie Löw taktisch wirklich gut ist. Lustigerweise sind die Kritikpunkte an den Franzosen ja auf andere Spieler bei Deutschland genauso übertragbar, genauso wie die Unzulänglichkeiten im Defensivkonzept (das zu tiefe zurückweichen der IV kommt einem aus vielen Dtlspielen auch erstaunlich bekannt vor, tritt aber kaum auf wenn Hummels und Boateng spielen).
Das ist richtig, nur war es für mich Vorsatz/Tätlichkeit. Und da gibt es die rote Pappe.
Die hätte es für den brasilianischen TW btw auch geben dürfen.
Die Spielweise von Brasilien ist auch das was mir Sorgen macht, gerade da der Mexikaner im Halbfinale das in seinen ersten beiden Einsätzen schon nicht unterbunden hat. Brasilien spielt sehr hart, Deutschland überhaupt nicht und muss nun eigentlich dagegen halten. Da bin ich ja mal gespannt wie das funktionieren soll. Einen Özil kann man in solchen Spielen zB meistens vergessen