Erst gestern abend gab Jay Wilson seinen Rückzug aus dem Diablo 3-Team bekannt, eine Tatsache, die nahezu zeitgleich auf allen Diablo 3-Blogs von Blizzard verbreitet wurde.
Die Reaktionen der Spielerschaft reichen von Euphorie und Häme bis hin zur Gleichgültigkeit. Wie immer ist die Reaktion so unterschiedlich wie die Spielerschaft von Diablo 3 selbst.
Wir können festhalten, dass der Weggang Jay Wilsons zu einem ungewöhnlichen Zeitpunkt erfolgt: Diablo 3 ist draussen, jetzt bereits mit Patchnummer 1.0.7, das Add-on ist in Vorbereitung, aber wohl inhaltlich noch nicht abgeschlossen, so dass die Diablo 3-Mannschaft möglicherweise ein wenig führungslos weiterarbeiten muss – oder auch nicht, die nächsten Tage werden es zeigen.
Was also ist der Grund für Jay Wilsons Abgang zur Unzeit? Ist er wirklich allein verantwortlich für alles Negative, was mancher Spieler Diablo 3 anlastet? Ist das beliebte, aber unschöne Bild des wohlgenährten Nagetiers, welches das sinkende Schiff verläßt, richtig? Das würde bedeuten, dass Jay Wilson zumindest eine Wahlmöglichkeit hatte und dass Diablo 3, das wird ja mittelbar unterstellt, im Sinkflug begriffen oder nicht erfolgreich war und ist.
Ist es seine mehr als unglückliche Facebook-Attacke, die er gegen David Brevik ritt, als dieser Diablo 3 unverhohlen kritisierte? Sicherlich, Jay Wilson hatte spätestens ab dem Moment Probleme, als er David Brevik letzten Sommer persönlich angriff. Dass dieser mit der harten Kritik an Diablo 3 das Interesse an den eigenen Spielprodukten (Marvel Heroes u.a.) wachhielt, sei dahingestellt. Harte Männer kämpfen mit harten Bandagen – oder ohne sie.
Oder liegt der wahre Grund tiefer? Letzteres ist am wahrscheinlichsten wenn man sich die Entwicklungsgeschichte von Diablo 3 ansieht, was ich in der Folge begründen möchte.
Diablo 2 kam im Frühsommer 2000 heraus und schlug ein wie eine Bombe. Ein paar schnelle Patches stellten die anfänglichen, durchaus gravierenden Bugs ab, wesentliche Änderungen erfolgten mit den Folgepatches und schließlich kam das Add-on „Lord of Destruction“ im Jahr 2001 heraus, welches jahrelang nachgepatcht wurde und die Spielmechaniken nochmals tiefgreifend änderte.
Bereits zu diesem Zeitpunkt macht sich das Diablo 2 Team Gedanken über einen möglichen Nachfolger. Parallel wurde im Hause Activision Blizzard das MMORPG „World of Warcraft“ entwickelt, welches Ende 2004 herauskam.
MMORPG’s waren damals das heißeste Eisen welches man schmieden konnte und ein Erfolg so gut wie sicher. Also machte man sich daran – noch zu Breviks Zeiten – eine Art Diablo-Space Opera als MMO zu entwickeln, ein anderes Team beschäftigte sich mit einer Fortsetzung im alten Rahmen. Letztlich gingen aber Brevik und die Schaefers im Jahr 2003 und setzten mit Hellgate:London eine Weiterentwicklung der RPG-Idee mit viel Potential bedingt durch technische Schwierigkeiten knallhart auf Grund.
Jetzt, soviel zum Hintergrund, betreut Brevik diverse MMO-Spiele bei Gazillion Entertainment, während die Schaefer-Brüder Torchlight 2 auf den Weg brachten.
Kurz: Bei Blizzard war man sich damals nicht sicher, in welche Richtung sich der Nachfolger von Diablo 2 entwickeln sollte. Dieser Zustand hielt bis etwa 2005 an. Ab hier stieß Jay Wilson zum Team und es wurde die Idee entwickelt, den ursprünglichen Rahmen von Diablo 2 beizubehalten, aber es dennoch anders zu machen. Grundlage dieser Entscheidung war das nach wie vor vorhandene große Interesse der Spieler an Diablo 2. So falsch konnte das Spielprinzip also nicht sein. Eine direkte Fortsetzung freilich wäre nur ein „Diablo 2,5“ geworden, etwas, was Wilson und das Team nicht wollten, denn es war naheliegend anzunehmen, dass dies dem Nachfolger angekreidet werden würde und nur wenige ein „Diablo 2,5“ haben wollten.
Die erste spielbare Demo wurde im Jahr 2008 gezeigt und die Begeisterung war groß. Und ab hier begannen, jedenfalls in einer Nachschau, die strukturellen Probleme zu Tage zu treten: Diablo 3 war das erste Spiel von Blizzard, dessen Entwicklung offen kommuniziert wurde. Man mag es kaum glauben, aber tatsächlich legte und legt Blizzard großen Wert auf die Meinung der Spieler und zwar, so meine Ansicht, weil Blizzard bzw. Jay Wilson und das Team selbst nicht genau wußten, wohin die Reise mit Diablo 3 hingehen sollte. Also hörte man auf die Spieler.
Ein erweitertes Crafting-und Customizing-System wurde geplant und umgesetzt, Runen eingeführt und wieder verworfen, das Crafting-System wieder beschnitten und die langjährigen Beschwerden der Spieler über langweilige Overpowered-Builds in Diablo 2 führten zu einem Balancing-System, welches für den Hersteller besser beherrschbar war, aber auch Restriktionen bei der Itemwahl und -Ausstattung zur Folge hatte. Der Release des Spiels verzögerte sich Monat für Monat, Jahr für Jahr. Schließlich wurde der Schwierigkeitsgrad „Inferno“ angekündigt, welcher für die alten Hasen unter den Spielern für langanhaltendes Spielvergnügen sorgen sollte.
Anfang 2012 verließ schließlich der Senior Game Producer Steve Parker das Diablo 3 Team, im Mai erfolgte dann der lang erwartete Release.
Die Spieler hatten seinerzeit genau das Spiel bekommen, welches sie wollten: Ähnlich genug um Nachfolger zu sein, aber kein „Diablo 2,5“. Extrem schwer, wenn man den Schwierigkeitsgrad „Inferno“ bewältigen wollte und damit sehr zeitaufwändig. Aber Blizzard hatte die eigene Kundschaft überschätzt und daneben mit einigen technischen Problemen zu kämpfen: Inferno war zu schwer geworden, das alte Spielgefühl der Endphase aus Diablo 2, nämlich vergleichsweise schnell das „Endgame“ zu erreichen um dort komfortabel Items zu suchen und zu finden, wollte sich nicht einstellen.
Hier zeigt sich das Dilemma, in dem Blizzard steckt: Die Interessen der Spieler sind viel zu unterschiedlich um allen gerecht werden zu können: Die einen wollten ein „Casual Game“, welches man mal für zehn Minuten oder eine Stunde daddeln konnte, die anderen wollten ein Spiel, welches auch nach 500 Spielstunden noch Neues bereithielt oder jedenfalls Motivation zum Weiterspielen bot, die nächsten wollten eine noch bessere Wirtschaftsimulation.
Blizzard löste diese Probleme teilweise elegant mit dem Monsterstärkesystem und den Paragonleveln, verschob aber damit den Zeitpunkt für erneute Beschwerden nur auf später.
Selbst der jetzt auf dem PTR verfügbare PvP-Modus ist eine aus unerfindlichen Gründen abgespeckte Variante zu dem, was bereits war.
Was Jay Wilson und seinem Team all die Jahre über fehlte, so wird man sagen können, war eine konkrete und widerspruchsfreie Vorstellung einer in sich geschlossenen Spielewelt als Nachfolger für Diablo 2. Dadurch haben sie sich von den Launen und widerstreitenden Interessen der Spielerschaft abhängig gemacht.
Das Ergebnis kennen wir: Diablo 3 musste sich an den sehr hohen, teilweise übersteigerten Erwartungen an einen Nachfolger von Diablo 2 messen. Diablo 3 ist Diablo 2 ja ähnlich genug um einen Vergleich ziehen zu können, aber auch unterschiedlich genug um seine eigenen technischen und sonstigen Probleme nach sich zu ziehen.
Tatsächlich ist Diablo 3 dennoch ein gutes Spiel geworden, meiner Ansicht nach ein würdiger Nachfolger von Diablo 2 und es ist sehr erfolgreich. Es setzt aber nicht konsequent den Weg von Diablo 2 fort, die Lust der Spieler am Finden oder Erstellen von guten Items durch Mikrobelohnungen jeden Tag zu fördern, sondern setzt mehr auf die spielerische Herausforderung, die für manchen bereits keine mehr ist. Die deutlich erleichterten Beschaffungsmöglichkeiten von Items über die Auktionshäuser tragen sicherlich dazu bei.
Jay Wilson muss das frühzeitig gewußt haben, anders ist es nicht zu erklären, dass er so heftig auf die Kritik von David Brevik reagierte. Seine Nerven müssen bereits damals blank gelegen haben. Der Rückzug aus dem Diablo 3 Team ist somit nur konsequent von wem auch immer er initiiert wurde.
Der wahre Grund für Jay Wilsons Abgang liegt also in der Entwicklungsgeschichte von Diablo 3, der genannten Konzeptlosigkeit und der dadurch hervorgerufenen starken Abhängigkeit von den Meinungen in der Spielerschaft.
Jay Wilson und seinem Team ist es nicht gelungen, grundlegende neue Mechanismen zu entwickeln, die im Rahmen der Welt von Sanktuario alle Interessen der Spielerschaft entweder unter einen Hut brachten oder eine Neuerung einzuführen, welcher die Spieler willig folgten. Dafür muss er als Kopf des Teams nun die Verantwortung tragen.
Es ist also an der Zeit für einen neuen, unbelasteten Kopf mit frischen Ideen und vor allem, einem Konzept für die Zukunft. Vielleicht gelingt es diesem Kopf, für das nächste Add-on oder das darauf folgende, entscheidende neue Akzente zu setzen, welche lang anhaltenden Spielspass für alle Spieler bereit hält.