Der ganze normale Wahnsinn – Leipzig, Games Convention 2007. Das Who is Who der Videospielbranche gibt sich in Deutschlands Osten die Ehre, Journalisten aus aller Herren Länder sind mit dabei. Von Mittwoch bis Sonntag, Knocharbeit. 15 bis 20 Stunden Schichten, kaum Schlaf und jede Menge Stress. Und dazu kommen noch eine Menge schlechter Ideen.
Manchmal möchte man sich als unbedarfter Journalist richtig vor den Kopf schlagen. Wer trifft eigentlich hier Entscheidungen? Beispiele gefällig? Gerne. Warum veranstaltet ein namhafter Hersteller seinen Presserundgang im Stehen und Laufen? „Wir wollen mit unseren Spielen die Leute in Bewegung bringen“, erläutert der Vorsitzende – ich nenne ihn einmal Bernie. Etwa 100 Presseleute sind akkreditiert und dürfen zwei Stunden über den Messestand laufen. Ich bin zum Glück noch jung und gehe regelmäßig Joggen, Kollegen zwischen 50 (Jahren) und 150 (Kilo) beginnen bereits nach Minuten zu stöhnen. Eben besagte Firma hat sich den Fitness Gedanken zu Nutze gemacht. Anstatt Häppchen gibt es Studentenfutter und Traubenzucker, als Getränke werden pürierte Frucht-Smoothies gereicht. Nette Idee, aber irgendwie nicht wirklich lecker.
Noch ein Beispiel? Es mag ja Konkurrenzkampf geben in der Videospielindustrie. Doch auf der GC herrscht offener Krieg. Da hält ein Software Konzern am Stand eine Pressekonferenz ab – schon startet eine andere Firma in derselben Halle ihr Karaokespiel. Die Uhr zeigt gerade 9 und das hübsch anzusehende Messebabe, das gerade Dancing Queen schmettert, mag zwar große knackige Brüste haben – gute Stimmbänder sind jedoch nicht die ihren. „Soundcheck“, murmelt der Techniker und feixt.
Aber auch die Journalisten sind nicht ganz ohne Fehler. Pressetermin bei einem Entwickler, der aus dem Konsolen-Geschäft ausgestiegen ist und sich jetzt nur noch auf Spiele mit Ultraschall-Igeln konzentriert. Merkwürdige Menschen, die mit mir diesen Termin wahrnehmen, denke ich. Denn mein Sitznachbar ist ungefähr 15, trägt ein Billy-Talent T-Shirt, eine rote Plastikkirsche um den Hals und eine Krawatte. Naja egal, es kommt ja aufs Spiel an. Der PR-Mensch legt los, schon braucht Emo-Junge Aufmerksamkeit. „Isch hab ja als Kind die ganzen Sönic-Cartüüns gekückt“, sächselt er. Stille. Wie bei einem schlechten Witz. „Da gabs ja so viele. Sonic X, bla bla bla“ – der PR-Manager muss selbst lachen. „Mensch du kennst dich ja super aus.“
Selber Termin, andere Problemkinder. Mit Tellern voller Schnittchen und einem randvollen Glas platzen die beiden Nachwuchsredakteure mitten in die Präsentation und werden fast vom WiiMote schwingenden PR-Typen erschlagen. „Ach ihr kommt auch noch?“ Wenn Marco Materazzi PR machen würde, hätte er diesen Satz zu Zinedine Zidane gesagt. Aber dieselben Jungs haben noch weniger ein Problem damit, eine laufende Präsentation zu verlassen. „Du, wir müssen jetzt los. Nintendo, die sind wichtig“ – Autsch, das saß.
Am ersten Besuchertag mache ich den Fehler und gehe in die Messehallen – ich wollte eigentlich nur einen kleinen Rundgang machen. Kaum bin ich aus der Sicherheit des Business Centers, schon kommen die ersten Verrückten angerast. „Ey Alter, geil StarCraft II, geil man boarh“. Zwei Kids mit falschen Brillis im Ohr und kunterbunter Haarfarbe rennen mich fast über den Haufen. Und damit nicht genug. Die omnipräsente Beschallung von allen Ständen in der Lautstärke von startenden Jumbojets ist den Beiden nicht genug. Sie brauchen die neusten Beats von Bushido und Aggro Berlin – jederzeit. Natürlich sind Kopfhörer unpraktisch, wozu hat ein Handy Lautsprecher. Die Krönung dieser Spezies sehe ich bei der Abfahrt am Bahnhof. Der junge Mann hat einen iPod mit sich, samt Skateboard-großen Lautsprechern.
Apropos Skateboard: Wer kam eigentlich auf die glorreiche Idee, vor den Präsentationsschirmen eines altbewährten Skateboard-Titels eben solche auf den Boden zu nageln? In ungefähr 20 Zentimeter Abstand zum Bildschirm – immerhin 32 Zoll groß. „Eine Übersicht vom Spiel verschaffen“, wird ganz schön schwierig.
Termin beim selben Publisher, Interview mit dem Entwickler. Mitten in das nette Gespräch platzt ein spanischer TV-Sender. „Could you say: Hi, I´m Chad Findlay for GamingTV with Finny“ – „Oh I´m sorry, I´m having an interview right now“ – wir haben uns schon angefreundet. „It´s ok, they´re from the TV“, springt der PR-Mensch ein. Soviel zum Thema: Online First.
Mittlerweile fällt mir derselbe Journalist am dritten Tag auf, stets mit demselben Hemd. Die Haare liegen gut am Kopf – einziges Problem: Der junge Herr benutzt kein Haargel. Aber Seife ist ihm anscheinend ebenso fremd. Meine Nase brennt ein wenig.
Hektik am Freitag: Ein Hersteller hat uns großzügig sechs Stunden Präsentationen eingeräumt. Einziges Problem: Für jedes Spiel ist genau eine halbe Stunde vorgesehen – Räume müssen jedoch auch gewechselt werden. Um 12 Uhr fällt der Controller in Raum 1 mit Tom Clancy’s Endwar, um 12 Uhr schließt sich neben an die Tür für meine Assassins Creed Präsentation. Resultat des engen Zeitplans: alle halbe Stunde stürzen etwa 10 Journalisten von Raum zu Raum, quetschen sich auf Sitzplätze und japsen erstmal fünf Minuten der Präsentation.
Jammern hilft nichts – immerhin geht es uns besser als den Entwicklern. Kaum verlasse ich eine Präsentation, höre ich den armen Bulgaren bitten. „Could I have a five Minute break? I´ve been talking about the game for six hours straight.“ „No, we have a tight schedule“ – seufzen, Stille.
Achja – Loading gibt’s jetzt wöchentlich. Jeden Montag 18:30 – tight schedule eben.
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